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Texten | Ueber Eurasia | Ehlers | 2002 |
Im Russland Putins -
kein Platz mehr für die Rechte?
Kann es einen Nationalismus neben Wladimir Putin geben?
1985, als Michail Gorbatschow den sowjetischen Juden als Ersten die Genehmigung
zur Ausreise erteilte, 1989 als er der deutschen Einigung zustimme, 1991
als Boris Jelzin die Sowjetunion auflöste - da schwappte eine Welle
des Nationalismus und des Antisemitismus durch die russische Gesellschaft.
Bilder marschierender russischer Nazis schockierten die westliche Presse.
Die "Pamjat"-Gruppen des Monarchisten und Antisemiten Dimitri
Wassiljew, sehr bald auch die paramilitärisch organisierten, sich
offen zum Faschismus bekennenden Banden der "Russischen nationalen
Einheit" , RNE und eine Unzahl weiterer Gruppen schossen wie Pilze
aus dem Boden. Auch der Rückzug Jelzins vom ersten tschetschenischen
Krieg 1996 trieb den nationalistischen Gruppen noch einmal Mitglieder
zu. Über dreißig "Nationalpatriotische Organisationen"
listete das "antifaschistische Komitee" Moskaus in seiner ersten,
von der Moskauer Stadtduma finanzierten Veröffentlichung 1996 auf.
Verantwortlich zeichnete Jefgeni Proschtschetschin, als Chef des Komitees
zum Abgeordneten und Leiter der "Kommission gegen Extremismus"
gewählt.
Die meisten nationalistischen Gruppen blieben zahlenmäßig klein;
die RNE dagegen zählte sich selbst in ihren Hochzeiten 1998/9 hunderttausend
(100.000) Mitglieder zu; zehntausend (10.000) dürften es tatsächlich
gewesen sein, hauptsächlich in den Metropolen St. Petersburg und
Moskau, aber auch in größeren und mittleren Städten der
Regionen.
In der letzten Veröffentlichung der "Antifaschistischen Komitees",
kurz vor den Duma-Wahlen im Oktober 1999 und den Präsidentwanhlen
2000 hat sich die Zahl der nationalistischen Gruppen auf über hundert
erhöht, was allerdings mehr auf intensivere ideologische Aktivität
und daher Differenzierung der Gruppen als zahlenmäßiges Wachstum
der Szene zurückzuführen ist. Zudem hält das "Antifaschistische
Komitee" es zu dem Zeitpunkt für angezeigt, neben dem Nationalismus
auch die ansteigende Xenophobie als Kriterium des wachsenden Radikalismus
anzuführen und dabei nunmehr auch die Rolle der Kirche in ihrer Liste
mit abzuhandeln. Popen der orthodoxen Kirche segnen nicht nur die Waffen
russischen Soldaten in Tschetschenien, viele ihrer Vertreter sind auch
direkt in rassistische, antisemitische und nationalistische Propaganda
verstrickt.
Die RNE trat 1999 unter dem Deckmantel "Spas", Rettung, sogar
zu den Wahlen mit an. Die hakenkreuzähnlichen Symbole und Parolen
der RNE gehörten in Städten wie Moskau und St. Petersburg zu
der Zeit zum alltäglichen Stadtbild. Erst im letzten Moment wurde
die "Spas" von der Teilnahme an der Wahl ausgeschlossen - aus
wahltechnischen Gründen, nicht wegen ihrer politischen Inhalte.
Heute, zwei Jahre nach diesem Höhepunkt nationalistischer Aktivitäten
ist von der RNE in der Öffentlichkeit nicht mehr viel zu sehen. Auch
von antifaschistischer Seite ist öffentlich nichts mehr zu hören:
Das "Antifaschistische Komitee" und die "Kommission gegen
Extremismus" haben die letzte ihrer nach 1966 fast jedes halbe Jahr
erscheinenden Broschüren 1999 herausgegeben. Die antifaschistischen
Gesetzes-Projekte der Kommission liegen unverabschiedet in der Duma.
Was ist geschehen? Ist Nationalismus plötzlich keine Gefahr mehr
in Russland?
Jefgeni Proschtschetschin, nach wie vor Leiter des "antifaschistischen
Moskauer Komitees", aber kein Abgeordneter der Moskauer Stadtduma
mehr, skizziert die neu entstandene Lage so:
Die RNE hat sich nach ihrem gescheiterten Wahlabenteuer gespalten. Parteigründer
und -führer Alexander Barkaschow wurde von der Mehrheit ausgeschlossen,
die sich für einen Kurs der der Anpassung an das putinsche Regime
entschied. Alexander Barkaschow setzte seinen Kurs in einer Gruppe namens
"Wache Barkaschows" fort. Im Ergebnis sind Auftritte und Parolen
der RNE, die 1999 in Städten wie Moskau und St. Petersburg zum alltäglichen
Stadtbild gehörten, weitgehend aus der Öffentlichkeit verschwunden.
Gleichzeitig, so Jefgeni Proschtschetschin, wächst die allgemeine
Xenophobie, benutzt eine Reihe von Abgeordneten der Schirinowski-Partei
und des rechten Flügels der KPRF die Strukturen der Staatsduma, um
tonnenweise antisemitische, nationalistische bis offen faschistische Presse,
Literatur, Lieder und einschlägige Videos im Lande, vor allem in
den Armeeeinheiten zu verteilen.
Anstelle früherer offener RNE-Aktivitäten häufen sich,
vor allem in Moskau, die Überfälle radikalisierter Skinheads
auf nicht-ethnische Russen, vor allem Kaukasier. Einen der letzten Vorfälle
dieser Art gab es Anfang November 2001, als ein Trupp von gut 300 Skinheads
mit Knüppeln und Stahlruten bewaffnet drei Märkte in den äußeren
Rändern Moskaus überfiel, wo die meist kaukasischen Händler
zusammengeschlagen wurden. Ergebnis: Zwei Tote und mehr als zwanzig Schwerverletzte.
Ein halbes Jahr zuvor, zu "Führers Geburtstag" am 20. April,
hatten ebensolche Horden bei einem ähnlichen Überfall einen
in Moskau heimischen Tschetschenen erstochen.
Die Gruppen rekrutieren sich aus radikalisierten Jugendbanden der Vorstädte,
welche die Propaganda Wladimir Putins gegen tschetschenische Banditen
und die des Moskauer Bürgermeisters Luschkow gegen die "Gesichter
kaukasischen Ursprungs" als Aufforderung verstehen, Russland von
den "Schwarzärschen" zu befreien und eine "Herrschaft
der Weißen" zu errichten.
Die Moskauer Polizei spricht von Fußballkrawallen. Augenzeugen berichten
dagegen von RNE-Abzeichen auf den Skin-Westen. Bürgermeister Juri
Luschkow, der nach den Bombenanschlägen auf Moskauer Hochhäuser
vor zwei Jahren mit entsprechenden Verordnungen die Jagd auf die Kaukasier
eröffnet hatte, hielt es immerhin für nötig, von einer
"gut vorbereiteten Aktion" zu sprechen. Er forderte den Einsatz
von mehr V-Leuten, um die Szene ruhig zu halten.
Die entscheidende Entwicklung der letzten anderthalb Jahre aber liegt
im Aufsteigen der nationalen Rechten zu offiziellen Stichwortgebern der
neo-imperialen Renaissance Russlands. Exemplarisch dafür ist die
Karriere Alexander Dugins, der nur ein halbes Jahr nach der Wahl eine
"Eurasische Bewegung" gründete: Alexander Dugin, seinem
Selbstverständnis nach "Geopolitiker", der Russland als
Führungsmacht im prinzipiellen Gegensatz zu den von Amerika geführten
atlantischen Mächten definiert, galt zu Zeiten der Perestroika als
marginalisierter national-bolschewistischer Extremist. Als Chefredakteur
einer obskuren Zeitschrift namens "Elemente" entwickelte er
seine kruden Theorien einer mystischen Mission Russlands, das sich als
Fortsetzung eines "Dritten Rom" gegenüber dem zersetzenden
Westen behaupten müsse, um die Welt zu retten. Seine Theorien fußen
u.a. auf Arbeiten der deutschen "konservativen Revolution" der
30er Jahre des letzten Jahrhunderts, den ideologischen Wegbereitern Hitlers.
Dugins strategische Vision ist eine deutsch-russische Achse, an der die
euro-asiatische und davon ausgehend die ganze Welt genesen könne.
Hitler kritisiert er nur deswegen, weil er die strategisch falsche Entscheidung
getroffen habe, Stalin zu bekämpfen, statt mit ihm zusammen den Westen,
speziell die USA zu unterwerfen.
Für seine Theorien instrumentalisiert Alexander Dugin zudem die Vorstellungen
der sowjetischen "Euro-Asiatiker", die in den 30er Jahren die
Vision von Russland als einer christlich-sozialistischen Ordnungsmacht
des euro-asiatischen Kontinents entwickelt hatten. In Dugins Neuauflage
schrumpfen die Theorien der klassischen Euro-Asiatiker allerdings zu einer
reinen neo-imperialen, zudem noch antisemitisch durchsetzten Ideologie.
In den ersten Jahren der Ära Jelzin gehörte Alexander Dugin
zur national-bolschewistischen Opposition, war er Autor in der Zeitung
"Djen", der Tag (nach 1993 "Sawtra, der Morgen) des ewigen
Oppositionärs, "National-Patrioten" und Antisemiten Alexander
Prochanow. Über "Sawtra", die meistgelesene Wochenzeitung
des national-patriotischen Lagers, agitierte er aktiv gegen den liberalen
Kurs Boris Jelzins sowie generell gegen den globalen Neo-Liberalismus.
1993 gehörte Alexander Dugin zu den "Verteidigern des weißen
Hauses", die Boris Jelzin von Panzern zusammenschießen ließ.
Gegen Ende der Jelzin-Zeit hatte Alexander Dugin sich zu einem der wichtigen
Berater des kommunistischen Duma-Präsidenten Selesnjow heraufgearbeitet.
Als Wladimir Putin gewählt wurde, sah Alexander Dugin auch seine
Stunde gekommen. Er begrüßte Putins Kriegskurs als richtigen
Schritt zur Wiederherstellung des Imperiums: nur ein halbes Jahr später
war die "Euroasiatische Bewegung" gegründet. Sie verfügt
in Moskau heute über ein herrschaftlich ausgestattetes Büro,
das heißt, über offizielle Gelder, und über Regionalgruppen
im ganzen Land.
In den wenigen Monaten ihres Bestehens organisierte die "Bewegung",
unterstützt vom Präsidialamt Putins und der Staatsduma zusammen
mit hochrangigen Vertretern der Kirche, ebenso des Islam eine Konferenz
zum Islam, welche u.a. die Teilung Tschetscheniens als Lösung des
tschetschenischen Problems propagierte. Verständigungslinie zwischen
tschetschenischen und russischen Teilnehmern dabei war: das Bündnis
euroasiatischer, von Russland geführter Partner gegen fremde atlantische,
das heißt westliche, amerikanische Kräfte.
Weitere Konferenzen dieser Art zu wirtschaftlichen und sozialen Fragen
fanden in den Regionen statt. Unter dem Label des "Euroasiatismus"
arbeitet Alexander Dugin erfolgreich daran, einen Focus für eine
neo-imperiale Orientierung Russlands herauszubilden, der sich als Gegenstück
zum Think-Tank der USA und seiner Strategen Brseszinski, Kissinger, Huntington
und anderen versteht. Dem Schlagwort vom "Kampf der Kulturen"
setzt Alexander Dugin das von der "Synthese der Kulturen" entgegen,
der "Globalisierung" die Kritik am Neo-Liberalismus und die
Propagierung der "nationalen Vielfalt unter einem euroasiatischen
Dach".
Dies alles ist auf dem Hintergrund möglich, dass Russland sich geografisch
wie historisch tatsächlich zwischen Asien und Europa definiert, dass
Wladimir Putin, anders als zuvor Michail Gorbatschow und auch noch Boris
Jelzin, eine Politik zwischen Asien und Europa zu entwickeln versucht
und dass sich eine weltweite Kritik an der neo-liberalistischen Globalisierung,
insonderheit der USA entwickelt.
Unter Ausnutzung dieser Tatsachen hat Alexander Dugins unermüdliche
Propaganda alle Aussichten, für das putinsche, ggflls. auch für
das nach- putinsche Russland zu einem ideologischen Treibsatz zu werden,
in dem der imperiale Explosivstoff in einem scheinbar ungefährlichen
Gemisch aus Kritik an der Globalisierung und Eintreten für eine multipolare
Welt versteckt wird.
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